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Die neue Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG gilt in allen offenen Fällen - Prüfschema der Neuregelung

 
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Die Kapitalertragsteuerfreistellung von deutschen Dividenden, die ins Ausland gezahlt werden, ist für viele Steuerpflichtige von großer Bedeutung. Bei grenzüberschreitenden Strukturen sind Substanz und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Ausland wesentliche Voraussetzungen. Sind diese nicht gegeben, kann die Kapitalertragsteuerfreistellung deutscher Dividenden, die an ausländische Gesellschaften gezahlt werden, verneint werden. § 50d Abs. 3 EStG soll in diesem Zusammenhang verhindern, dass eine ausländische Gesellschaft zwischen den ausländischen Steuerpflichtigen und die inländische Einkunftsquelle geschaltet wird, um Steuervorteile zu erlangen, die bei einer direkten Erzielung der Einkünfte nicht möglich wären.

Die neue Anti-Treaty-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG gilt in allen offenen Fällen

- Prüfschema der Neuregelung -

 

Do., 31. Okt. 2022  

von Julian Hartmann

Internationale Steuern

 

Die sog. „Anti-Treaty-Shopping-Regelung” des § 50d Abs. 3 EStG dient als Missbrauchsvermeidungsvorschrift und bezweckt die Bekämpfung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Vergünstigungen aus DBA (Doppelbesteuerungsabkommen) sowie EU-Richtlinien für Einkünfte, die dem Kapitalertragsteuer-Abzug unterliegen.

Nachdem die alte Fassung aufgrund des Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht mit dem Unionsrecht vereinbar war, wurde die Neuregelung des § 50d Abs. 3 EStG mit Zustimmung des Bundesrates am 8. Juni 2021 durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (kurz AbzStEntModG) beschlossen. Die ab dem 09. Juni 2021 gültige Fassung entspricht dem Gesetzesentwurfes der Bundesregierung vom 20. Januar 2021. Die Neuregelung gilt in allen noch offenen Fällen (vgl. § 52 Abs. 47b EStG).

(Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vom 08.06.2021 im BGBl. I S. 1259 verkündet, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/2021-06-08-AbzStEntModG/4-Verkuendetes-Gesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=2 )

 

1. Hintergrund

Die Kapitalertragsteuerfreistellung von deutschen Dividenden, die ins Ausland gezahlt werden, ist für viele Steuerpflichtige von großer Bedeutung. Bei grenzüberschreitenden Strukturen sind Substanz und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Ausland wesentliche Voraussetzungen. Sind diese nicht gegeben, kann die Kapitalertragsteuer-Freistellung deutscher Dividenden, die an ausländische Gesellschaften gezahlt werden, verneint werden.

§ 50d Abs. 3 EStG soll in diesem Zusammenhang verhindern, dass eine ausländische Gesellschaft zwischen den ausländischen Steuerpflichtigen und die inländische Einkunftsquelle geschaltet wird, um Steuervorteile zu erlangen, die bei einer direkten Erzielung der Einkünfte nicht möglich wären. Die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG bestimmt daher, dass der ausländische Steuerpflichtige eine nach DBA oder durch eine EU-Richtlinie gewährte verringerte Kapitalertragsteuer nur dann beanspruchen kann, wenn eine persönliche oder sachliche Entlastungsberechtigung vorliegt. Damit verlangt diese deutsche Vorschrift wesentlich strengere Anforderungen an eine Kapitalertragsteuer-Entlastung als sie in den DBA vorgesehen sind.

In der Vergangenheit wurden in der Gestaltungspraxis durch das Zwischenschalten von ausländischen Gesellschaften vermehrt DBA-Regelungen „eingekauft“, die über den normalen innerstaatlichen Weg nicht zur Anwendung gekommen wären (sog. Treaty Shopping). Dieses Einkaufen von DBA-Regelungen über den einfachen Weg der Zwischenschaltung einer ausländischen Gesellschaft war und ist dem Gesetzgeber ein Dorn im Auge. Diesbezüglich benötigte es Abwehrmaßnahmen, welche der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG als sog. „Anti-Treaty-Shopping“, d.h. dem Nicht-Einkaufen einer DBA-Regelung, Rechnung getragen hat. Diese als sog. „Treaty-override“ bezeichnete Regelung überlagert als rein deutsche Maßnahme die Regelungen eines DBA.

 

2. Historie und Entwicklung

Die ursprüngliche Fassung des § 50d Abs. 3 EStG wurde vermehrt vom EuGH als nicht mit dem Unionsrecht vereinbar eingestuft. Nach der Überzeugung des EuGH muss eine mitgliedstaatliche Missbrauchsbekämpfungsvorschrift (wie der § 50d Abs. 3 EStG) dem Steuerpflichtigen den Nachweis erlauben, dass keine rein künstliche Gestaltung zur ungerechtfertigten Nutzung eines Steuervorteils vorliegt (vgl. hierzu Beschluss vom 14. Juni 2019, C-440/17, GS; zur Altregelung siehe Urteil vom 20. Dezember 2017, C-504/16 und C-613/16, Deister Holding und Juhler Holding).

Vor diesem Hintergrund sah sich der Gesetzgeber gezwungen, eine Neuregelung des § 50d Abs. 3 EStG zu verfassen und gleichzeitig den Mindeststandard des Art. 6 der Anti Tax Avoidance Directive (kurz ATAD) umzusetzen.

 

3. Die Leitplanken des Gesetzgebers sind enger als man bisher dachte…

Die alte Fassung § 50d Abs. 3 EStG war nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, da sie nach Auffassung des EuGH dem Steuerpflichtigen nicht den Nachweis erlaubte, dass keine rein künstliche Gestaltung zur ungerechtfertigten Nutzung eines Steuervorteils vorliegt. Statt eine konkrete Einzelfallprüfung zuzulassen, wurde von der deutschen Norm pauschal ein Missbrauch unterstellt. Demzufolge wahrt die Regelung nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da sie über das für die Erreichung des Ziels Erforderliche, nämlich der Vermeidung von Missbrauch, hinausging.

Somit war es für den deutschen Gesetzgeber zwingend notwendig, das Verständnis des EuGH zum Missbrauch in diese Regelung zu verpacken und die Möglichkeit der Exkulpation zu ermöglichen.

 

4. Neuregelung des § 50d Abs. 3 EStG vom 9. Juni 2021

Die Neuregelung des § 50d Abs. 3 EStG ist recht kurzgefasst und kann grundsätzlich in vier zentrale Punkte gegliedert werden.

Zum einen besteht der Test der persönlichen Entlastungsberechtigung. Dadurch wird geprüft, ob der ausländische Anteilseigner den Entlastungsanspruch auch ohne Einschaltung der ausländischen Körperschaft gehabt hätte.

Im Rahmen des Tests der sachlichen Entlastungsberechtigung wird geprüft, ob die Einkunftsquelle einer wirtschaftlichen Tätigkeit der ausländischen Körperschaft dient. Darüber hinaus kann ein sog. „Principal-Purpose-Test“ durchgeführt werden, mit der Frage, ob die Erzielung steuerlicher Vorteile einer der Hauptzwecke der Einschaltung der Körperschaft war. Für den Steuerpflichtigen besteht als Erleichterung die Möglichkeit die Vermutung eines Gestaltungsmissbrauchs mittels eines Gegenbeweises zu widerlegen.

Als letzter zentraler Punkt der Vorschrift ist ein Börsentest möglich, wodurch börsennotierte ausländische Gesellschaften vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen werden.

 

 4.1 Persönlicher Anwendungsbereich

Während die bisherige Fassung des § 50d Abs. 3 EStG an „ausländische Gesellschaften“ anknüpfte, erfasst die Neufassung klarstellend „sämtliche Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen“ und neben Gesellschaftern auch sonstige Begünstigte, denen die Einkünfte der Gesellschaft in vergleichbarer Weise zugutekommen (z.B. Destinatäre einer Stiftung) und vermeidet damit etwaige Umgehungsmöglichkeiten. Darüber hinaus sollen aufgrund der Streichung des Auslandsbezugs mögliche Missverständnisse in Fällen der Doppelansässigkeit einer Körperschaft vermieden werden.

Mit Blick auf die persönliche Entlastungsberechtigung gem. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG erschließt sich die Verwendung des Wortes „soweit“ unmittelbar. Denn wenn mehrere Gesellschafter an der Körperschaft beteiligt sind, kann abhängig von deren hypothetischer Entlastungsberechtigung „dieser Anspruch“ teilweise vorliegen und daher auch nur eine anteilige persönliche Entlastungsberechtigung gegeben sein.

Beispiel:

Eine US-Corporation ist alleinige Anteilseignerin einer französischen S.A.R.L. Diese ist wiederum alleinige Anteilseignerin einer deutschen D-GmbH. Die D-GmbH tätigt eine Gewinnausschüttung an die französische S.A.R.L.

Die französische S.A.R.L hat einen Anspruch auf eine Quellensteuerreduktion auf 0% aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie gem. § 43b EStG. Bei direktem Bezug hätte die US-Corporation ebenfalls einen Anspruch auf Quellensteuerreduktion auf 0% aufgrund des DBA D/USA. Die französische S.A.R.L ist eine Produktions- und Vertriebsgesellschaft mit hierfür angemessenem eingerichtetem Geschäftsbetrieb. Die französische S.A.R.L hat die Beteiligungen an der deutschen D-GmbH vor langer Zeit erworben. Ursprünglich diente die Beteiligung dem mittlerweile eingestellten Geschäftszweig Z der französischen S.A.R.L., da die D-GmbH hierfür als Zulieferer diente.

Lösung - Prüfung der persönlichen Entlastungsberechtigung:

Zunächst erfolgt eine Prüfung des hypothetischen Anspruchs auf Entlastung der US-Corporation bei gedachtem Direktbezug.

Im Beispiel ist gem. § 50d Abs. 3 S. 1 EStG keine persönliche Entlastungsberechtigung gegeben, weil die Quellensteuerreduktion auf unterschiedlichen Anspruchsnormen (§ 43b EStG und DBA D/USA) basiert. Im Ergebnis kommt es zu einer Verschärfung der Rechtslage gegenüber der Altregelung des
§ 50d Abs. 3 EStG. In der alten Fassung hätte bereits eine Reduktion auf dieselbe Höhe (hier in beiden Fällen auf 0%) ausgereicht.

 

4.2 Sachlicher Anwendungsbereich

Eine sachliche Entlastungsberechtigung liegt vor, soweit die Gesellschaft eine Wirtschaftstätigkeit ausübt und die Einkunftsquelle einen wesentlichen Zusammenhang zu eben dieser Wirtschaftstätigkeit aufweist. Der Gesetzgeber definiert den Begriff der „Wirtschaftstätigkeit“ nicht explizit. Vielmehr ergibt sich die Definition aus der Gesetzesbegründung bzw. im Umkehrschluss aus der Abgrenzung zu den in § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 2. HS EStG geregelten Sachverhalten, welche per Fiktion keine Wirtschaftstätigkeit begründen sollen. Im Ergebnis soll eine passive Beteiligungsverwaltung keine Wirtschaftstätigkeit darstellen, eine aktive Beteiligungsverwaltung hingegen schon. Fehlt es an einem angemessenen eingerichteten Geschäftsbetrieb, ist das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit der Körperschaft ausgeschlossen.

Folglich wird ein Missbrauch hinsichtlich der sachlichen Entlastungsberechtigung vermutet, wenn kein wesentlicher Zusammenhang zwischen der Einkunftsquelle und der wirtschaftlichen Tätigkeit der Gesellschaft besteht. Somit muss zunächst geprüft werden, ob die Tätigkeit der Gesellschaft wirtschaftlich nachvollziehbar ist und zum anderen, ob ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Gesellschaft der Einkunftsquelle besteht. Es muss klar erkennbar sein, warum ausgerechnet die Körperschaft die Einkunftsquelle hält.

Fortsetzung Beispiel (siehe oben):

Fraglich ist nun, ob die Einkunftsquelle einen wesentlichen Zusammenhang mit einer Wirtschaftstätigkeit der Körperschaft im Sinne von § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG aufweist.

Lösung - Prüfung der sachlichen Entlastungsberechtigung:

Die sachliche Entlastungsberechtigung war bis zur Einstellung des Geschäftszweiges eindeutig gegeben. Da somit wirtschaftlich nachvollziehbar ist, wieso die französische S.A.R.L. die Einkunftsquelle hält, sollte die sachliche Entlastungsberechtigung auch nach der Einstellung des Geschäftszweigs noch gegeben sein. Die Quellensteuerreduktion sollte somit grundsätzlich möglich sein.

 

4.3 Möglichkeiten des Gegenbeweises und Börsenklausel

Dem Steuerpflichtigen wird die Möglichkeit eröffnet, die Vermutung eines steuerlichen Gestaltungsmissbrauches aufgrund der Zwischenschaltung einer ausländischen Gesellschaft zu widerlegen. Der Entlastungsanspruch ist somit nicht ausgeschlossen, wenn nachweislich der Hauptzweck der Zwischenschaltung nicht zur Erlangung eines steuerlichen Vorteils führt. Hierbei sind auch sämtliche außersteuerliche Gründe zu berücksichtigten (z.B. Zugang zum Kapitalmarkt oder regulatorische Anforderungen). Bei einem teilweisen Nachweis ist die Entlastung korrespondierend nur teilweise zu gewähren.

Über die Börsenklausel haben ausländische Unternehmen, deren Anteile an einer anerkannten Börse gehandelt werden, auch ohne den vorgenannten Gegenbeweis einen Entlastungsanspruch.

 

5. Vorbereitung auf zukünftige Entwicklungen durch § 50d Abs. 3 S. 3 EStG

Gem. des Wortlautes des Gesetzes bleibt die allgemeine Missbrauchsregelung des § 42 AO unberührt. Daraus folgt, dass diese Regelung subsidiär zu prüfen ist. Laut Gesetzesbegründung dient dies lediglich der Klarstellung.

Vermutlich wollte der Gesetzgeber sich aber auch bereits gegen zukünftige Rechtsmissbräuche schützen, indem es weiterhin die allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschriften aus der Abgabenordnung gelten lässt. Denn wer weiß, was in der Zukunft noch kommt?

 

6. Zeitlicher Anwendungsbereich

Anwendung findet die Neufassung gem. § 52 Abs. 47b EStG in allen noch offenen Fällen, es sei denn, § 50d Abs. 3 EStG in der bei Zufluss der Einkünfte gültigen Fassung steht dem Anspruch auf Entlastung nicht entgegen. Durch diese Günstigerprüfung soll eine unzulässige Rückwirkung vermieden werden.

 

7. Fazit

Auf den ersten Blick wirkt der § 50d Abs. 3 EStG in seiner schlanken Form einfacher. Beim genauen Hinsehen zeigt sich, dass diese Wahrnehmung täuscht. Der neue § 50d Abs. 3 EStG enthält einige zuvor aufgeführte Verschärfungen. In Zukunft dürfte der sachlichen Entlastungsberechtigung eine besondere Bedeutung zu kommen, da die persönliche Entlastungsberechtigung in der Praxis häufig versagt wird (siehe Beispiel oben), da der Entlastungsanspruch oftmals nicht auf derselben Anspruchsnorm basiert.

Des Weiteren bleibt es fraglich und abzuwarten, ob die Neuregelung des § 50d Abs. 3 EStG in ihrer Neufassung genauso diskutabel wie die Vorgängerversion(en) bleibt und ob sie den europarechtlichen Vorgaben und insbesondere dem Verständnis des EuGHs über Missbrauch entspricht. Darüber hinaus ist unklar, ob noch ein BMF-Schreiben zur Klärung von offenen Einzelfragen erscheinen wird.

 

 

Geschrieben von

TAX TOWN ➜ Der Blog für das internationale Steuerrecht vom Steuerberater Frankus, Ihrem Experten für die internationale Steuerberatung mit Sitz in Düsseldorf.

Frankus Wirtschaftsprüfer Steuerberater Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
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